Wenn wir die Entwicklung unseres Feldzuges überblicken, müssen
wir zugeben daß Prozentsatz der bisher erzielten Erfolge
den ganz hervorragenden Leistungen unserer schweren
Batterien zuzuschreiben ist. Abgesehen von der technischen
Leistungen unserer schweren Artillerie muß man aber auch
die Umsicht unserer Heeresleitung bewundern, die es
verstanden hat, diese gewaltigen Fortschritte auf
artilleristischem Gebiet vor den Gegnern geheim zu halten.
Die schwere Artillerie trat seit langer Zeit zum ersten
Male in dem Krieg zwischen Rußland und Japan in
Erscheinung, dem ersten Feldzuge, bei dem in den Kämpfen
um Liaojan und Mukden die Form des Stellungskampfes in so
ausgesprochenem Maße zur Geltung kam, wie es jetzt in
diesem Kriege der Fall ist. Es ist wohl den meisten, die
sich näher mit diesem Feldzuge beschäftigt haben, noch
im Gedächtnis, wie General Nogi nach dem Fall von Port
Arthur auf grundlosen chinesischen Wegen seine schweren
Batterien zur Schlacht von Mukden heranführte und durch
ihr Feuer den Durchbruch am Bahnhof von Mukden
entscheidend vorbereitete. Schon früher wurde im
deutschen Heere die Bedeutung eines Geschützes zur stärkeren
Wirkung gegen befestigte Stellungen erkannt und diesem Bedürfnis
zunächst durch Einführung der Haubitzen bei der
Feldartillerie, später dann auch durch Aufstellung der
Bespannungsabteilungen der Fußartillerie für die 15
Zentimeter-Feldhaubitze Rechnung getragen Kein Mensch aber
ahnte, in welch großartigem Stile man bereits damals die
Einfügung schwerster Kaliber in die mobilen Formationen
plante. Es kam noch hinzu, daß in den letzten Jahren
lebhafte Polemiken über die höchste Kalibergrenze im
Gange waren und daß man lange Zeit ein Hinaufgehen über
28 Zentimeter als bedenklich und unrentabel mit Rücksicht
auf die rasche Abnutzung der Rohre bezeichnete. Die
deutsche Heeresleitung aber überließ diese
wissenschaftlichen Auseinandersetzungen anderen und
arbeitete im stillen weiter.
Nun kam der Krieg. In die für uneinnehmbar gehaltenen Lütticher
Forts hagelten auf einmal Geschosse hinein, vor denen die
stärksten Betonschichten zerbarsten und Panzerkuppeln wie
Glas zersprangen. Es waren die Bomben der 42
Zentimeter-Belagerungsmörser. Mit ihrem Auftreten
erschien ein Faktor auf dem Kampffelde, mit dem unsere
Gegner nicht gerechnet hatten, ja dessen Herstellung sie
technisch für nicht möglich erklärt hatten. Damit kam
auch der erste große Rechenfehler in ihren Kriegsplan.
Denn die Festungen der Maaslinie Lüttich - Namur -
Antwerpen verloren damit ganz gewaltig an Wert. Selbst die
stärksten Forts wurden unter dem Einschlag dieser
Eisenkolosse in kürzester Zeit in Trümmerhaufen
verwandelt. Ich habe die geradezu verblüffende Wirkung
dieser gewaltigen Geschütze in Fort Loncin, Namur, Lier
usw. bereits geschildert. Ich gehe wohl nicht zu weit,
wenn ich behaupte, daß selbst das stärkste Fort von
Paris innerhalb kurzer Zeit das gleiche Schicksal unter
dem Feuer der 42 Zentimeter-Mörser erleidet wie seine
Vorgänger, und daß der Fortgürtel von Paris keinen
Schutz mehr für die Hauptstadt Frankreichs bietet, sobald
wir ihn erst einmal richtig angefaßt haben.
Österreichischer
30,5 cm Mörser in Brüssel
Diese schwersten Kaliber, die man naturgemäß nur
zum Wirkungsschießen (im Gegensatz zu dem vorbereitenden
Schießen zur Ermittlung der Entfernung) in seiner
reinsten Form einsetzt, finden eine glänzende Ergänzung
in den Motormörserbatterien der Österreicher. Wenn auch
ihr Kaliber von 30,5 Zentimeter nicht an das unserer
schwersten Geschütze heranreicht, so ist ihre Wirkung
doch so groß, dass auch sie dem gegenwärtigen Stand der
französischen und belgischen Befestigungskunst weit überlegen
sind. Wo die österreichisch-ungarischen Motorbatterien
feuerten, da erzwangen auch sie nach kurzem Kampfe
unbedingt die Feuerüberlegenheit, und wenn es sich um
Befestigungen handelte, die Vernichtung des zu beschießenden
Kampfobjekts. Ein nicht zu unterschätzender Vorzug der österreichisch-ungarischen
Motor-Batterien liegt in ihrer sehr großen Beweglichkeit
und raschen Feuerbereitschaft, da sie schon nach zehn
Minuten vom Instellungsetzen an gefechtsbereit sind. Man
kann sie daher rasch nach Erledigung ihrer Kampfaufgabe an
einen anderen Punkt werfen, wo sie durch ihr Feuer dann
die Feuerüberlegenheit erzwingen können.
Durch den Fall von Antwerpen sind eine große Anzahl
unserer 42 und 30,5 Zentimeter-Mörser frei geworden. Ich
glaube, man wird bald an anderer Stelle von ihnen hören.
Angesichts dieser gewaltigen Rohrdurchmesser gehören die
21 Zentimeter-Belagerungsmörser fast schon zu den kleinen
Kalibern, und doch waren auch sie schon stark genug, Fort
Fleron bei Lüttich, einige Forts bei Namur, Longwy sowie
auch Forts von Antwerpen bis zur Sturmreife
zusammenzuschießen. Auch bei diesen Batterien, die
bekanntlich den größten Tvp unserer bespannten Fußartillerie
darstellen, ist ihre hohe Beweglichkeit sehr vorteilhaft.
Bei allen diesen schweren Kalibern hat man übrigens die
sehr angenehme Entdeckung gemacht, daß die Schüsse, auch
nachdem die zahlenmäßig festgelegte Höchstbelastung der
Rohre erreicht ist, keineswegs an Treffsicherheit
verlieren, sondern auch weiterhin ihre Präzision
beibehalten. Ich möchte, was den Punkt Präzision
anbetrifft, nur an Fort Lier für die 42 Zentimeter-Mörser
erinnern, wo jeder einzelne Panzerturm für sich getroffen
war, wo das Feuer so genau verteilt war, daß eine ganz
geringe Schußzahl der 42er die völlige Vernichtung
dieses gewiß nach den bisherigen Begriffen sehr starken
Fort zur Folge hatte. Dasselbe Bild bot sich im Fort
Waelhem bei Antwerpen wo die Österreicher gefeuert
hatten, in Givet, Maubeuge und vor allem im Fort des
Ayvelles, wo die 21 Zentimeter-Kaliber die Geschütze der
in offener Batterie stehenden französischen Batterien
genau getroffen und zertrümmert hatten. Neben der enormen
Durchschlagswirkung dieser schweren Steilfeuergeschütze
ist aber auch die Gaswirkung dieses Mal sehr stark
Erscheinung getreten. Unter dem Einfluß der giftigen Dämpfe,
welche die Explosion der einschlagenden Geschosse zur
Folge hatte, brachen die nicht getroffenen Mannschaften
ohnmächtig zusammen. Bei den Forts Manonvillers und
Lonciu bildete diese Erstickungsgefahr die Hauptursache
der Übergabe.
Bei den 15 Zentimeter-Geschützen haben wir die sowohl bei
Verdun wie auch bei Antwerpen mit großem Erfolge
verwendeten Flach- und die Steilfeuergeschütze zu
unterscheiden. Die ersteren entsprechen dem Typ unserer
modernen Schiffsgeschütze und verfügen über eine sehr
rasante Flugbahn und große Treffgenauigkeit sowie eine außerordentlich
große Schußweite. Sie werden mit Vorliebe dazu
verwendet, um Straßen, Geländeabschnitte usw. mit Feuer
zu decken. Ihnen fiel übrigens auch die Ehre zu,
Antwerpen selbst unter Feuer zu nehmen. Die 15
Zentimeter-Feldhaubitze wird auch gegen Zwischenbatterien
im Festungsgelände oder in Feldstellung sowie zur Unterstützung
der Haubitzen der Feldartillerie bei Beschießung von Schützengräben
eingesetzt.
Wenn wir uns dagegen die Feldformationen unserer Gegner
ansehen, so finden wir als einziges Feldsteilfeuergeschütz
die 15 Zentimeter Rimailho-Haubitze der Franzosen. Alles
andere sind Improvisationen, welche die Not geboren hat.
Selbst bei der Feldartillerie finden wir an Stelle der
Haubitzen nur den die Treffgenauigkeit so stark
herabsetzenden Malandrinschen Ring (eine Vorrichtung, die
das Geschoß zwingt, eine steilere Kurve zu durchfliegen),
aber keine Steilfeuergeschütze. Die Festungs- und
Schiffsgeschütze, die man sowohl von französischer wie
auch vor allem von englischer Seite in die große
Schlachtfront eingebaut hat, reichen, was Wirkung
anbetrifft, bei weitem nicht an die deutschen und österreichisch-ungarischen
Batterien heran. Vor allem fehlt ihnen auch die große
Beweglichkeit und der bereits bei Aufstellung der
deutschen und österreichisch-ungarischen Batterien berücksichtigte,
vorzüglich geleitete und organisierte Munitions- und
Werkzeugpark.
Wie sich daher auch die Kämpfe weiterhin entwickeln mögen,
das eine können wir stets festhalten: Wir besitzen in
unseren schweren Batterien eine Trumpfkarte, die nicht überstochen
werden kann, und einen Vorsprung, der in wenigen Monaten
sich von unseren Gegnern auch bei den größten
Anstrengungen nicht einholen läßt. Wo wir daher in der
Lage sind, unsere schweren Batterien in genügender Zahl
zum Angriff einzusetzen, werden sie uns auch, gleichgültig
ob es sich
um Festungen oder Feldstellungen handelt, durch ihr
gewaltiges Feuer stets den Weg zum Siege bahnen.
|